Freundschaft unter Staaten

Über die Kategorie Freundschaft im diplomatischen Geschäft

Photo by Joshua Fuller on Unsplash

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Ein New Yorker Gebäude mit hellblau schimmernder Fassade, 39 Geschosse hoch, beherbergt die Welt. 1952 auf dem Gelände eines am East River gelegenen Schlachthofs erbaut, sollte im UN-Hauptquartier jenes von Menschenhand durchgeführte Schlachten in Zukunft verhindert werden, das die Welt Jahre zuvor ins Verderben gestürzt hatte. Es war, nach dem Scheitern des Völkerbunds, nicht nur der Versuch, eine Weltregierung auf die Beine zu stellen, sondern auch die Freundschaft zwischen den Ländern zu zementieren und ein Stück weit zu forcieren.

Zwei aufeinanderfolgende Weltkriege hatten gezeigt, dass Freundschaft eine menschliche, aber nicht zwingend staatliche Beziehungsform ist. Vor 1945 gab es nicht viele Freunde auf dem Parkett der Weltpolitik. Es gab nur Feinde und Verbündete. Wie der französische Staatsmann Charles de Gaulle später konstatierte: Staaten haben keine Freunde, sie haben Interessen. Gilt seine Aussage immer noch? Am heutigen „Internationalen Tag der Freundschaft“, von eben den Vereinten Nationen am 28. April 2011 ins Leben gerufen, drängt sich die Frage auf. Der Großteil der Welt ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs von Konflikten solchen Ausmaßes verschont geblieben, und zur Maxime der Weltpolitik ist das Bestreben nach Frieden avanciert, nach guter Nachbarschaft, nach Freundschaft.

Das kann aber freilich nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass auch heute die zwischenstaatliche Freundschaft bei den eigenen Interessen endet. Das hat das jüngste große Klassentreffen der Staatsoberhäupter, der G-20-Gipfel in Hamburg, unterstrichen, wo allen gemeinsamen Ansinnen zum Trotz zwischen vielen der Beteiligten Zwistigkeiten und Animositäten zum Vorschein kamen.

Kann es so etwas wie Freundschaft zwischen Staaten überhaupt geben?

Freundschaft ist ein Schmiermittel der Diplomatie, aber kein verlässliches

Schließlich muss diese deutlich stressresistenter sein als die zwischenmenschliche. Sie fußt zwar auf jahrhundertealter gemeinsamer Geschichte, aber auch sich ständig verschiebenden Interessen und dem Wechselkarussell der Staatsoberhäupter. Eine Freundschaft braucht Beständigkeit, die ist in der Politik aber nicht gegeben. Eine Beziehung wird brüchig, wenn sie von der Tagesaktualität bestimmt wird. Lange galten die USA als guter Freund der Bundesrepublik. Heute, unter Präsident Donald Trump, sieht das anders aus.

Das bedeutet nicht, dass die Freundschaft keinen Nutzen auf der großen Bühne der Weltpolitik hat. Sie ist das Schmiermittel der Diplomatie, denn sie appelliert an die gemeinsame Verantwortung, zur Kooperation und Solidarität. Sie legt fest, wem zu vertrauen ist und wem nicht. Umso schmerzhafter ist es, wenn der Freund einen hintergeht. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel von den US-amerikanischen Lauschangriffen auf ihr Handy unterrichtet wurde, stellte sie klar: „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht.“ Hätte Merkel dieselben Worte für Russland oder die Türkei gewählt?

Die Freundschaft braucht Pflege und immer wieder das gegenseitige Bekennen zu ihr. Sie ist mehr Akt als Zustand. Diesen Akt können Handelsverträge und Händeschütteln allein nicht bewerkstelligen. Dazu braucht es mehr. Richtige Völkerfreundschaft – im Gegensatz zu der staatlich verordneten, die der Sowjetkommunismus predigte – soll sich nicht an der Politik, sondern an den Völkern orientieren, den Menschen. Regierungen kommen und gehen und spiegeln nie eine gesamte Nation wider. Sie sind eine Momentaufnahme eines Ortes, eine Skizze. Sie können ihre Unterschrift unter eine Freundschaft setzen, sollen aber nicht die Bedingungen dieser diktieren. Völkerfreundschaft braucht ein Band, das nicht von nationalistischen Interessen zerrissen werden kann. Sind die diplomatischen Scharmützel zwischen Berlin und Ankara wirklich das richtige Messinstrument, um zu definieren, wie es um die deutsch-türkische Freundschaft bestellt ist? Ist das immer noch überwiegend harmonische Miteinander beider Bevölkerungsgruppen kein besserer Richtwert für die gemeinsame Zukunft?

Völkerfreundschaft braucht eine stabilere Grundlage als die Politik. Im Zuge des Zweiten Weltkriegs wurde sie aus der Not geboren, heute sollte sie genau die verhindern. Dazu braucht es keine 39 hellblau schimmernden Stockwerke in New York, sondern offene Herzen.

Erschienen im Tagesspiegel am 30.07.2017

Max ThollComment