Coolness als politische Haltung

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Ein junger afro-amerikanischer Jazz-Trompeter prägte Anfang der fünfziger Jahre einen Mythos, der bis heute anhält. Mit dem Album „The Birth of the Cool“ brach Miles Davis mit dem schnellen und pulsierenden Bebop, etablierte den deutlich ruhigeren Cool Jazz und wurde so zur Ikone einer neuen Geisteshaltung der amerikanischen Nachkriegszeit: der Coolness.

Was Miles Davis als „coolen Typen“ auszeichnete, war aber nicht nur sein musikalischer Wagemut und individueller Stil, sondern vor allem seine Denkart. In den fünfziger Jahren war Rassismus in den USA immer noch salonfähig und Diskriminierung von Afroamerikanern an der Tagesordnung. Es war das Amerika des Jim Crow, jenes fiktionalen Charakters, der als Stereotyp die Minderwertigkeit und Unterwürfigkeit der schwarzen Bevölkerung widerspiegeln sollte. Einzig der Jazz, der von Afroamerikanern hervorgebracht wurde, diente als Refugium in einer verdrehten und ungerechten Welt. Doch selbst Jazz-Größen wie Louis Armstrong wagten es nicht, das Machtgefüge der amerikanischen Bevölkerung infrage zu stellen. Protest wurde hinter einem breiten Grinsen versteckt. Widerstand wich Gehorsam und Resignation.

„Der weiße Mann will, dass wir ständig lächeln und uns verbeugen“ kritisierte Miles Davis damals. „Ich lächele nicht, ich verbeuge mich nicht. Ich bin Musiker, ich spiele Musik.“, war seine Antwort darauf. Davis war kein Revolutionär im klassischen Sinne. Er und Wegbegleiter wie Jazz-Legende Lester „Pres“ Young zettelten keinen offenen und lauten Protest an. Ihre Antwort auf die Unterdrückung war nicht Wut, sondern Gelassenheit. Sie verschafften sich durch die Maske der Coolness Autorität und etablierten sie als Ausdruck von Authentizität, Unabhängigkeit und Nonkonformismus. Daraus lässt sich etwas lernen: Coolness als Haltung ist genau die richtige Antwort auf die Parolen der heutigen Scharfmacher und Populisten. Denn deren Erfolg nährt sich von Provokation und Eskalation. Dafür darf es keinen fruchtbaren Boden geben. Die Coolness ist das perfekte Gegenmittel.

Cool sein ist zu einem neurotischen Zwang verkommen

Leider hat sie sich nicht als Haltung, sondern nur als kultureller Mythos bewähren können. Wer heute cool sagt, meint damit nur noch ein Modewort, repräsentativ dafür, wer oder was gerade angesagt ist und was nicht. Die Coolness ist zu einem oberflächlichen und arbiträren Kriterium verkommen. Statt kritischer Distanz fördert sie heute ein Bedürfnis nach Zugehörigkeit und befeuert manischen Konsum, um dazuzugehören. Wozu genau man gehören will, bleibt meist ungeklärt. Vielmehr geht es darum, nicht als „uncool“ zu gelten. Insofern dient die Coolness heute eher der sozialen Ausgrenzung anstatt der Selbstbestimmung. Die Substanz der Coolness ist verloren gegangen, übrig geblieben ist nur noch ein neurotischer Zwang zur Selbstinszenierung. Anders gesagt: Die Coolness ist äußerst uncool geworden.

In den 1950er Jahren setzte sie hingegen noch enormes emanzipatorisches Potential frei und ebnete den Weg für die große kulturelle Revolution der 68er. Genau wie bei diesen zog die Coolness ihre Anziehungskraft ursprünglich aus der Popkultur. Cool zu sein, war in erster Linie ein kultureller Begriff, der voraussetzte, dass der oder die Kulturschaffende neue Ausdrucksformen nutzt und sich so von der Masse distanziert und unbeirrt den eigenen Weg geht. Diese Entschlossenheit und Unbeirrtheit waren die Basis der Coolness, die von der Popkultur aus in die Gesellschaft abwanderte.

In seinem jüngst erschienenen Buch „The Origins of Cool in Postwar America“ analysiert der amerikanische Autor Joel Dinerstein den Ursprung der Coolness und deren kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung. Coolness, schreibt Dinerstein, war das Gesicht des Überlebenskampfes der Nachkriegszeit, die von Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Homophobie und anderen Diskriminierungen geprägt war. Auf solche Ungerechtigkeiten stoisch zu reagieren, war aber keine Resignation, sondern ein Mittel zur Emanzipierung. Cool sein hieß, einen kühlen Kopf zu bewahren und selbst in stürmischen Zeiten ruhig zu bleiben. Coolness als Abwehrhaltung hatte den Vorteil, dass sie jedem zu jeder Zeit und überall zur Verfügung stand. Sie brauchte keine Bestätigung oder Hilfe von außen, sondern beruhte auf kompletter Selbstbestimmung. Sie war die stille Revolution des Individuums.

Mit Coolness der kleinbürgerlichen Moralwelt entkommen 

Diese Geisteshaltung fand nicht nur bei der schwarzen Bevölkerung Amerikas Anklang. Nach der Wirtschaftskrise und zwei Weltkriegen wurde sie auch zum Heilmittel für weiße Randgruppen, um sich von den Traumata zu erholen und der kleinbürgerlichen Moralwelt der Nachkriegszeit zu entkommen. Das Film-Noir-Genre gab ihnen eine Stimme. Privatdetektive, Arbeiter, Kleinkriminelle, Einzelgänger oder jugendliche Rebellen: Die Protagonisten des Genres lebten meist am Rande der Gesellschaft und nach dem eigenen moralischen Kompass. Hollywood-Legenden wie Humphrey Bogart oder James Dean prägen bis heute das Bild des stillen Rebellen, der einer scheinheiligen Gesellschaftsordnung mit Gelassenheit und Souveränität begegnet und der Gut und Böse anhand eigener Kriterien statt gesellschaftlicher Richtwerte festlegt. Ihre Coolness war das Gegenstück zur erdrückenden Tugendhaftigkeit der Nachkriegszeit, die nach dem Schrecken des Krieges eine heile Welt vorgaukelte. Coolness entblößte diese Scheinheiligkeit und begegnete naivem Optimismus mit Realismus und Pragmatismus.

In Europa fiel diese Geisteshaltung vor allem in Frankreich auf fruchtbaren Boden. Sie war gewissermaßen die Vollendung des Existenzialismus, den Philosophen wie Jean-Paul Sartre und Albert Camus propagierten. Denn Coolness setzte das kritisch denkende und selbstbestimmende Individuum wieder in den Fokus, nachdem zerstörerische Massenideologien den Kontinent zerrüttet und die nationalen Kulturen und Identitäten zerstört hatten. Jetzt war es Aufgabe jedes Einzelnen, diesen Kräften entgegenzuwirken. In seinem einflussreichen Werk „Der Mensch in der Revolte“, beschrieb Camus Anfang der fünfziger Jahre den Kampf gegen die „Absurdität des Seins“ und warnte davor, dass die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse den Menschen in den Nihilismus oder gefährliche Ideologien treiben. Diese Sorge gilt heute immer noch.

Obschon Camus und Sartre die Coolness als Mittel der Selbstbestimmung feierten, verstanden sie, genau wie viele Intellektuelle in Amerika, die Haltung als eine rein männliche. Frauen seien schließlich zu emotional, um cool – also emotional-kontrolliert – aufzutreten und zu denken. Es ist Frauen wie Simone de Beauvoir oder der afroamerikanischen Aktivistin Lorraine Hansberry zu verdanken, dass cool zu sein auch dem weiblichen Geschlecht zugestanden wurde, was den Feminismus stärkte und vorantrieb.

Die Krise ist heute allgegenwärtig

Das Happy End blieb aber aus. Denn die Kämpfe von damals (Rassismus, Homophobie, Unterdrückung der Frauen) sind noch lange nicht gewonnen. Ganz im Gegenteil: Sie existieren weiter, während neue Probleme hinzukommen. Ein fortschreitendes Klimaproblem, regelmäßige Finanzbeben, Populismus à la Trump und wiederkehrende Terroranschläge: Wer realistisch ist, kann die Weltlage nicht beschönigen und droht, in Alarmismus oder zynische Resignation zu verfallen. Sinnvoller ist es, sich einem bewährten Mittel zu bedienen: Der Coolness. In ihrer Reinform kann sie wieder Grundstein für eine neue politische Geisteshaltung und Kultur werden. Sie darf nicht mehr nur Pose sein, sondern muss wie einst als Schutzschild gegen Krisen wirken – denn diese sind heute allgegenwärtig.

Vielleicht ist das dem Umstand geschuldet, dass Herausforderungen heute schnell zu Krisen hochstilisiert werden: Beispiel Flüchtlingsfrage, pardon, -krise. Die linguistische Dimension hat reale Konsequenzen für die Politik, die wegen der ständigen Eskalation vom „Krisenmodus“ und der „Alternativlosigkeit“ beherrscht wird und vor lauter Atemlosigkeit und Angst vor Fehltritten kaum noch zum Handeln bereit ist. Dadurch tun sich Spielräume für Aufwiegler auf und überbieten sich im Netz hasserfüllte Kommentatoren.

Dem öffentlichen Diskurs fehlt heute ein Korrektiv. Er gerät in eine Spirale der Aufregung und driftet zumeist in Vulgarität und personalisierte Aggression ab. Ohne Coolness bleibt von der Streitkultur nur noch der Streit übrig. Die Hysterie nimmt Überhand und nährt die globalen populistischen Wahlerfolge, die die Stützpfeiler der Demokratie ins Wanken bringen.

Das wissen diejenigen auszunutzen, die aus Chaos Kapital schlagen können. In Ihrem jüngst erschienenen Buch „Gegen Trump“ beschreibt die kanadische Aktivistin Naomi Klein, wie politische oder wirtschaftliche Krisen ausgenutzt werden, um Interessen am Volk vorbei durchzuboxen. Klein bezeichnet dieses Vorgehen als „Schockstrategie“. Donald Trump, so Klein, versucht mit einem „Tsunami“ an Dekreten und verwirrenden Twitter–Nachrichten Chaos zu stiften. Unter seiner Ägide wird die Schockstrategie zur täglichen Politik, denn Trump ist längst selbst zum Schock geworden. Und es wirkt. Wenn wie jüngst Schlammschlachten im Weißen Haus im Fokus der Öffentlichkeit stehen und das Reality–TV an Satire und Skurrilität überbieten, geht der kritische Blick der Öffentlichkeit für die eigentliche Politik verloren. Dann werden die Lügen des Präsidenten oder das Scheitern seiner Gesetzesvorhaben plötzlich zu Nebenschauplätzen – wie praktisch für ihn.

Wie entkommt man der Dauerprovokation?

Es gilt daher, schockresistent zu werden. Der Dauerprovokation und dem politischen Irrationalismus zu entkommen. Das geht, indem man die Drohgebärden der Scharfmacher nicht vernachlässigt, aber gekonnt ignoriert. Ob nun bei Trump, europäischen Populisten, Aufwieglern in sozialen Netzwerken oder angstverbreitenden Terroristen: Alle verwenden Chaos und Provokation als Waffe im Kampf gegen die offene und freie Gesellschaft. Nicht nur weil Provokation ansteckend ist, sondern weil sie eine Gegenreaktion einfordert, die zur Eskalation führen soll. Die Provokation lebt von Aufmerksamkeit. Ohne Publikum verhallt sie im Nichts. Wer Feuer mit Feuer bekämpft, verletzt am Ende aber noch die Freiheit, die er oder sie zu schützen versucht. Wäre es also nicht ratsamer, die Maske der Coolness aufzusetzen und sich unbeeindruckt zu zeigen? Zu deeskalieren?

Das ist die Forderung, die nach jedem Terroranschlag, nach jedem Erfolg der Populisten im Raum steht. Weil die Taktik das Klima stört, in dem Wut gedeiht und in dem aus sinnvollem Protest schnell sinnlose Gewalt wird, wie man es auf den Straßen von Ferguson, Paris, London oder zuletzt Hamburg erleben konnte. Empörung hat ihren Nutzen in einer Demokratie. Sie hebt Anliegen der Bevölkerung auf die politische Tagesordnung und war Impuls von Protestbewegungen wie der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung oder den spanischen „Empörten“ (Indignados). Aber eben auch der Pegida-Märsche und des Trump-Lagers. Sie ist ein doppelschneidiges Schwert. Ob sich aus ihr sinnvoller oder giftiger Protest entwickelt, hängt von der ideologischen Gesinnung des Betrachters ab. Wenn aber Autos brennen oder gegen Bevölkerungsgruppen diskriminiert wird, ist sie über ihr Ziel hinausgeschossen und hat ihre politische Legitimität verspielt. Deshalb sollte sie eher Anstoß als Ausdruck sein. Kann die Coolness ihren Platz einnehmen?

Cool bleiben heißt keinesfalls, die Augen zu schließen und der Gegenseite freie Hand zu gewähren. Auch nicht in Nihilismus zu verfallen, wie Camus es fürchtete. Es steht auch dem Schulterschluss mit Gleichgesinnten zum kollektiven Protest nicht im Weg, sondern ebnet diesem sogar den Weg, indem es das Individuum ermächtigt und schockresistent macht. Denn die Coolness ist eine meditative Geisteshaltung. Sie zu erlangen, heißt ein neues Bewusstsein zu schaffen für die eigene Macht gegenüber dem Unrecht, den Krisenmachern und der Dauerprovokation: die Macht, ruhig und unaufgeregt zu bleiben. Das eigene Ding durchzuziehen. Den kritischen Blick zu schärfen. Einfach cool zu sein.

Max Tholl